Was ist Klinische Kinder- und Jugendpsychologie?
Die Klinische
Kinder- und Jugendpsychologie beschäftigt sich mit den spezifischen
Verhaltensproblemen, psychischen Störungen und psychologischen Aspekten
körperlicher Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters, und zwar von Geburt an
bis zum Erwachsenenalter. Ihr theoretisches Verständnis ist durch eine
„entwicklungspsycho-pathologische“ Sichtweise geprägt und betont den temporären
Aspekt fehlangepassten Verhaltens.
Sie
bezieht sich dabei auf Studien zu normalem und abweichendem Verhalten
unter
Einbezug der
Entwicklungsperspektive. Sie baut insbesondere auf Erkenntnissen der
Entwicklungspsychologie, aber auch anderer psychologischer, biologischer und
soziologischer Disziplinen auf, um dadurch ein besseres Verständnis der
Ursachen, Verläufe und Behandlung von Verhaltensproblemen, psychischen Krisen
und Störungen des Kindes- und Jugendalters zu
erhalten.
Von der experimentellen Grundlagen- zur Interventionsforschung
Die Arbeitsgruppe hat sich die Erforschung der Ursachen und Behandlung von
emotionalen Störungen des Kindesalters zum Ziel gesetzt. Beide
Forschungsfragestellungen werden unter Anwendung unterschiedlicher
methodischer Ansätze verfolgt. So werden von der Arbeitsgruppe Querschnitts-
und Längsschnittstudien durchgeführt und es kommen neben Fragebogen- und
Interviewerhebungen experimentelle Studien zum Einsatz, die z.T. um
psychophysiologische und psychobiologische Untersuchungen ergänzt werden. Die
Studien der Arbeitsgruppe werden beinhalten u.a. die folgenden Themen:
· Familiale Transmission von Angststörungen
· Ätiologie und Behandlung der Störung mit Trennungsangst im Kindesalter
und weitere Angststörungen
· Kognitive Auffälligkeiten von Kindern mit Angststörungen
· Körperbildstörungen bei Essstörungen
· Verzerrungen im Bericht psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters
· Akzeptanz strukturierter Interviews bei Patienten und Psychotherapeuten
· Überprüfung der Gütekriterien der von der Arbeitsgruppe entwickelten
strukturierten Interviews
· Entwicklung und Überprüfung von Diagnoseinstrumenten zur Erfassung von
Verhaltensauffälligkeiten im Kleinkind- und Vorschulalter
Zwei konkrete Forschungsbeispiele
Welchen Einfluss hat der mütterliche Gefühlszustand auf das Verhalten ihres Babys? Dieser Frage geht die Arbeitsgruppe in einer Verhaltensbeobachtungsstudie nach. Mütter werden hierzu mit ihren 8 bis 13 Monate alten Babys zu zwei Terminen in das Verhaltensbeobachtungslabor eingeladen. Die Mütter bekommen zu beiden Terminen zunächst einen Videoausschnitt zu sehen: einmal einen Film mit bedrohlichem Inhalt und einmal mit einem neutralen Inhalt (Naturfilm). Durch unmittelbare Messungen im Anschluss an den Film wird sichergestellt, dass sich die Mutter in einer ängstlichen bzw. einer neutralen Stimmung befindet. Im Anschluss an diese „Stimmungsinduktion“ absolvieren Mutter und Baby die visuelle Klippensituation (vgl. Abb. Klippe). Die visuelle Klippe ist ein mit Plexiglas überdeckter Tisch, der vortäuscht, in der Mitte abzufallen („Klippe“). Babys ab etwa 8 Monaten realisieren die Klippe, was zu einer Verunsicherung führt und Rückversicherungsverhalten beim Baby (z.B. Blickkontakt mit Mutter aufnehmen) auslöst. Zu Beginn der Untersuchung wird das Kind auf die „hohe“ Seite der Klippe gesetzt, während die Mutter gegenüber am „tiefen“ Ende des Klippentischs steht und das Kind auffordert, die Klippe zu überqueren. Die Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass in Abhängigkeit des mütterlichen Gefühlszustandes (ängstlich vs. neutral), das Kind längere Zeit für das Überqueren der Klippe benötigt, wenn sich die Mutter in einem ängstlichen Gefühlszustand befindet. Dieses Experiment belegt eindrücklich, wie die Stimmung der Mutter das Verhalten ihres Babys maßgeblich beeinflusst und trägt somit zu einem besseren Verständnis der beteiligten Prozesse bei der familialen Transmission von emotionalen Störungen bei
Benötigt
die erfolgreiche psychologische Behandlung von Angsterkrankungen im Kindesalter
den Einbezug der Eltern? Dieser für die klinische Praxis sehr bedeutenden
Settingfrage geht die Arbeitsgruppe in einer vom Schweizerischen Nationalfonds
geförderten Therapiestudie nach. Kinder (Alter 8-13 Jahre) mit einer klinisch
bedeutsamen Trennungsangst (z.B. Kind kann nicht zur Schule gehen, nicht im
eigenen Bett schlafen) nehmen in dieser Studie an einer von zwei Varianten einer
Verhaltenstherapie teil. Während die eine Hälfte der Kinder ohne Einbezug der
Eltern behandelt wird, werden bei der anderen Hälfte Kind und Eltern mit
gleicher „Dosierung“ in die Verhaltenstherapie einbezogen. Die Zuteilung auf
die beiden Behandlungssettings erfolgt per Zufall. Alle Therapien werden nach
einem ausführlichen Behandlungsmanual von speziell trainierten
Verhaltenstherapeuten durchgeführt. Die Veränderung der
Trennungsangstsymptomatik wird über den Verlauf der Therapie sowie 4 Wochen, 1 Jahr
und 2 Jahre nach Therapieabschluss gemessen. Die Ergebnisse zeigen, dass beide
Behandlungssettings sehr erfolgreich sind und sich in den Erfolgsmessung nicht
voneinander unterscheiden. Anders als ursprünglich erwartet, weisen diese
Ergebnisse darauf hin, dass die Trennungsangst des Kindes auch ohne Einbezug der
Eltern behandelt werden kann.
(Schneider et al 2013)
Und darüber hinaus...
Die Abteilung Klinische Kinder- und Jugendpsychologie führt kein Leben im Elfenbeinturm. Sie engagiert sich sehr aktiv in der Fort- und Weiterbildung von Psychologen und Ärzten, ist beteiligt an der Entwicklung von Behandlungsleitlinien für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters, arbeitet mit öffentlichen Institutionen des Gesundheitswesen zusammen und bemüht sich um die Verbreitung der Forschungsergebnisse der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie. Im Zentrum für Kinder- und Jugend Psychotherapie, werden evidenzbasierte Behandlungen für Kinder mit psychischen Störungen angeboten und die Bedingungen für Forschung und Lehre verbessert. Dies trägt zur Dissemination klinisch, psychologischer Forschungsergebnisse in der Routineversorgung bei.